Baden-Württemberg wird seiner historischen Verantwortung im Umgang mit dem Kolonialismus umfassend gerecht. Dazu gehört auch ein angemessener Umgang mit menschlichen Gebeinen und Schädeln. Heute hat Staatssekretärin Petra Olschowski daher sterbliche Überreste indigener Australier zurückgegeben.
Staatssekretärin Petra Olschowski hat heute in einem feierlichen Akt im Linden-Museum in Stuttgart sterbliche Überreste von zehn indigenen Australiern an die Australische Botschafterin in Deutschland, Ihre Exzellenz. Lynette Wood, und eine Delegation der australischen Regierung übergeben, der auch Vertreter indigener Communities angehören. Zwei Schädel kommen aus dem Bestand des Linden-Museums, acht aus der Alexander-Ecker-Sammlung des früheren Instituts für Humangenetik und Anthropologie der Universität Freiburg.
„Baden-Württemberg will seiner historischen Verantwortung im Umgang mit dem Kolonialismus umfassend gerecht werden. Dazu gehört auch ein angemessener Umgang mit menschlichen Gebeinen und Schädeln, die im kolonialen Kontext in die Sammlungen unserer Einrichtungen gekommen sind. Diese möchten wir in ihre Herkunftsgesellschaften zurückgeben, damit sie ihre letzte Ruhe finden“, sagte Olschowski.
Sammlungen werden auf weitere menschliche Überreste untersucht
Sie betonte weiter, dass das Land Baden-Württemberg eine Verpflichtung einlöse, die seit vielen Jahrzehnten bestehe und der in der Vergangenheit nicht angemessen nachgekommen worden sei. Die Rückgabe erfolgt an die zuständigen staatlichen Behörden Australiens, die die sterblichen Überreste für die indigenen Communities treuhänderisch übernehmen. „Wir werden unsere Sammlungen systematisch untersuchen. Sollten wir hierbei auf sterbliche Überreste indigen australischen Ursprungs stoßen, dürfen Sie sich darauf verlassen, dass die heutige Rückgabe nicht die letzte gewesen sein wird“, unterstrich Staatssekretärin Petra Olschowski gegenüber der australischen Delegation.
„Die Rückführung sterblicher Überreste indigener Australier zu ihren Familien und ihrem Herkunftsland ist für indigene Australier eine eminent wichtige Angelegenheit. Die Australische Regierung begrüßt das Engagement und die Kooperationsbereitschaft des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, der Stadt Stuttgart, des Linden-Museums Stuttgart und der Universität Freiburg bei der Rückführung von sterblichen Überresten indigener Australier“, sagte die Botschafterin Australiens in Deutschland, Ihre Exzellenz Lynette Wood.
Anlässlich der feierlichen Übergabe kündigte Staatssekretärin Olschowski den nächsten Schritt des Landes in der Aufarbeitung des kolonialen Erbes an: eine Bestandsabfrage des Ministeriums bei den staatlichen Museen und Hochschulen sowie bei den Universitätsklinika. „Wir müssen davon ausgehen, dass es noch weitere menschliche Überreste aus kolonialem Kontext in den Sammlungen unserer Hochschulen und Museen gibt. Deshalb werden wir das Thema nun systematisch angehen. Wir bitten unsere Einrichtungen darum zu prüfen, wo es weitere sterbliche Überreste gibt, woher sie kommen und ob eine Rückgabe auch für sie infrage kommt.“
Geschichte der sterblichen Überreste
Viele menschliche Überreste sind im Zusammenhang mit der „Rassenforschung“ oder „Rassenkunde“ in die Sammlungen der Universitäten und Völkerkundemuseen gekommen.
Die sterblichen Überreste indigener Australier des Linden-Museums kamen 1905 beziehungsweise 1931 nach Stuttgart und wurden nicht in Ausstellungen gezeigt, sondern im Depot aufbewahrt. Der eine Schädel kam 1905 als Schenkung Ernst von Sieglins ans Linden-Museum. Er wurde zuvor sehr wahrscheinlich – wie große Teile der Sieglin-Sammlung – bei Johann F. Gustav Umlauff, Museum und Ethnographica-Handel, in Hamburg erworben. Er ist gekennzeichnet als ein Schädel aus New South Wales, Australien. Wie der Schädel nach Hamburg gelangte, ist nicht bekannt. Der zweite Schädel kam 1931 durch einen Objekttausch in die Sammlungen des Linden-Museums. Über den Objektgeber sowie die weitere Geschichte des Schädels vor der Eingliederung in die hiesige Sammlung liegen ebenfalls keine näheren Informationen vor.
Die acht Schädel der Universität Freiburg stammen aus der Alexander-Ecker-Sammlung des früheren Instituts für Humangenetik und Anthropologie, die heute dem Universitätsarchiv Freiburg angehört. Der Freiburger Anatomieprofessor Alexander Ecker (1816 bis 1887) gilt als Begründer der anthropologischen – insbesondere kraniologischen – Sammlung, die entsprechend nach ihm benannt ist.
Ecker versuchte Schädel aus aller Welt zu beschaffen und erhielt diese wahrscheinlich vor allem auf Basis der persönlichen Kontakte zu ehemaligen Studierenden, Sammlern oder Ausgräbern. Nach seinem Tod wurde die Sammlung von verschiedenen Nachfolgern weiter betreut, darunter Eugen Fischer (1874 bis 1967), der zum Vorreiter der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde. Fischer erhielt die von ihm der Sammlung zugefügten Schädel aus deutschen Kolonialländern wohl zum einen über Briefe an Ärzte und Missionare in den deutschen Kolonien und zum anderen über einen Aufruf in der Deutschen Kolonialzeitung.
Die Schädel wurden an der Universität Freiburg im Rahmen des Forschungsprojekts „Test of provenance of probable Australian Aboriginal skulls in the Alexander Ecker Collection, Freiburg and the Linden-Museum Stuttgart“ untersucht – es handelt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um Schädel aus Australien. Über deren stammesgeschichtliche Herkunft (Community) konnten trotz eingehender Untersuchung keine verlässlichen Erkenntnisse gewonnen werden.
Überreste gehen zurück nach Australien
Auf Seite der australischen Regierung ist geplant, die sterblichen Überreste nach Australien zu überführen und weitere Provenienzforschung zu betreiben. Wenn die Zuordnung zu einer bestimmten Ursprungs-Community geklärt werden konnte, werden die sterblichen Überreste an diese übergeben.
Für die Aborigines haben die sterblichen Überreste eine besondere spirituelle Bedeutung. Dem Glauben vieler Aborigines zufolge kehrt mit den Gebeinen auch der Geist „spirit” beziehungsweise die Seele der Verstorbenen in das Land ihrer jeweiligen Herkunft zurück. Im aktuellen australischen Kontext wird daher in Hinblick auf die sterblichen Überreste sehr häufig auch nicht von „Human Remains“, sondern von „Ancestors“ gesprochen.
Die letzte und bisher einzige Rückgabe sterblicher Überreste aus Baden-Württemberg erfolgte im Jahr 2014, als 14 Schädel aus der historischen Alexander-Ecker-Sammlung der Universität Freiburg an Namibia übergeben wurden.