Innenminister Thomas Strobl hat ein Maßnahmenpaket für die Polizei und die Innenverwaltung vorgestellt: fünf Maßnahmen für eine moderne Führungs- und Wertekultur, für eine strategische Personalentwicklung und zum Schutz gegen sexuelle Belästigung.
„Wir haben das Thema moderne Führungs- und Wertekultur bei der Polizei schon lange auf die Tagesordnung gesetzt – nicht zuletzt, weil die Polizei aktuell einem der größten Transformationsprozesse ihrer Geschichte bestreitet. In den vergangenen sieben Jahren wurden über 10.000 junge Menschen eingestellt, das macht rund 40 Prozent aller Frauen und Männer in Uniform in unserem Land aus. Die Polizei Baden-Württemberg wird jünger, weiblicher und vielfältiger – das ist Herausforderung und Chance zugleich auf ihrem Weg hin zu einer neuen und modernen Führungs- und Wertekultur. Die Vorwürfe gegen den Inspekteur waren hier ein schwerer Rückschlag, den wir gerade rückstandslos aufklären und aufarbeiten. Vor allem legen wir ihn nicht zu den Akten: ganz im Gegenteil. Die Arbeit, die wir angepackt haben, wird umso stärker und intensiver ihre Fortführung finden. Jetzt gehen wir den nächsten Schritt – und den, über die Polizei hinaus. Ein Zwischenergebnis sind fünf ganz konkrete Maßnahmen, die wir heute vorstellen“, so der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl am Dienstag, 18. Juli 2023, in Stuttgart.
Maßnahmenpaket
Der Innenminister stellte fünf Maßnahmen für eine moderne Führungs- und Wertekultur, für eine strategische Personalentwicklung und zum Schutz gegen sexuelle Belästigung vor.
„Wir werden eine Stabsstelle moderne Führungs- und Wertekultur für die gesamte Innenverwaltung einrichten. Sie wird das Thema „Neue Führungs- und Wertekultur“ zu einem Schwerpunktthema machen und für eine breite Verankerung in der gesamten Innenverwaltung sorgen“, sagte Innenminister Thomas Strobl. Die Stabsstelle wird sich dabei sowohl mit der gelebten Führungs- und Wertekultur als auch den dafür notwendigen Strukturen und Rahmenbedingungen befassen.
Die Stabsstelle verantworten und steuern wird der ehemalige Amtschef des Finanzministeriums, Jörg Krauss. „Wie kein anderer kennt Jörg Krauss die Polizei. 37 Jahre hat er für die Polizei gearbeitet, eingestiegen damals noch als Polizeiwachtmeister. Von da an hat er sich hochgearbeitet. Im Herzen war er immer Polizist durch und durch, aber Jörg Krauss hat den Blick auch geweitet und zehn Jahre in Führungsfunktionen in anderen Bereichen der Landesverwaltung übernommen – unter anderem als Regierungsvizepräsident in Stuttgart und als Amtschef im Finanzministerium. Er hat eine Binnensicht wie kein anderer, aber auch eine gesunde Distanz. Er ist ein Mensch, der den Zugang zu Menschen sucht und sich dabei nie scheut, seine Meinung zu sagen. Er hat ein klares Werte- und Koordinatenkreuz. Genau das brauchen wir jetzt!“, sagte Innenminister Thomas Strobl.
„Wir haben einen klaren Handlungsauftrag. Wir wollen alle mitnehmen, die Führung und die Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis. Wir wollen eine Arbeitswerkstatt aufbauen, die ihren Teil dazu beiträgt, die Menschen bei der Polizei und in der Innenverwaltung stark zu machen. Persönlich bin ich ganz fest der Überzeugung: Ein ganz großes Pfund ist, sich optimal zu ergänzen – ob im Mannschaftssport, in der Familie oder im Arbeitsumfeld. Mit diesem Geist gehen wir auch an unsere Arbeit in der Stabsstelle und wollen schauen, wie wir das auch auf die Führungs- und Wertekultur aber auch auf die Personalentwicklung übertragen können“, so Jörg Krauss und ergänzte: „Und ganz sicher wollen und werden wir keine Ergebnisse vorwegnehmen. Deshalb werde ich jetzt auch erst mal mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis und der Führungsebene ins Gespräch kommen“, so der neue Stabsstellenleiter Jörg Krauss.
Direkt nach der Sommerpause wird die Stabstelle ihre Arbeit aufnehmen und ihr Arbeitsprogramm konkretisieren. Die Stabsstelle wird dabei gezielt auch Erkenntnisse aus anderen Bereichen, etwa von Wirtschaft, Wissenschaft oder Arbeitspsychologie in ihre Arbeit mit einbeziehen und direkt bei der Hausspitze angesiedelt sein.
Darüber hinaus wird sich das Landespolizeipräsidium neu aufstellen. „Wir wollen weg von Abhängigkeiten, die sich zu stark auf Einzelne konzentrieren, hin zu einem echten Führungsteam“, so Landespolizeipräsidentin Dr. Stefanie Hinz. Die künftige Führungsmannschaft im Landespolizeipräsidium setzt sich zusammen, neben der Landespolizeipolizeipräsidentin an der Spitze, aus dem Landespolizeidirektor für die Schutzpolizei, dem Landeskriminaldirektor für die Kriminalpolizei und einem Führungsstab zur Sicherung des Führungs- und Qualitätsmanagements und der Steuerung der Digitalisierung. Die Aufgaben des Inspekteurs der Polizei werden auf das neue Führungsteam übertragen. Das Landespolizeipräsidium passt seine Strukturen damit auch denen der Polizeipräsidien in der Fläche an. „Der Gedanke der teamorientierten Führung wird dadurch noch stärker in der Organisation verankert und die Personalverantwortung für die Führungskräfte der Polizei auf mehreren Schultern verteilt. Darüber hinaus werden Entscheidungsprozesse gerade mit Blick auf die Personalentwicklung transparenter und nachvollziehbarer“, unterstreicht die Landespolizeipräsidentin.
„Die Polizei ist ein moderner und hoch attraktiver Arbeitgeber. Und wir haben hier ein klares Ziel: Wir wollen auch weiterhin hochqualifizierten und hochkompetenten Führungskräftenachwuchs. Und wir wollen den Nachwuchs bei der Polizei bestmöglich entwickeln und dazu gehört, dass wir dem Nachwuchs nicht nur ein bestmögliches Arbeitsumfeld geben, sondern ihn auch entsprechend seiner Fähigkeiten bestmöglich einsetzen“, so die Landespolizeipräsidentin. In diesem Zusammenhang soll die strategische Personalentwicklung für die Polizei als moderner Arbeitgeber neu ausgerichtet und das seit Jahren und Jahrzehnten praktizierte Beurteilungssystem nicht nur auf den Prüfstand, sondern auf eine neue Grundlage gestellt werden.
„Sexismus, Extremismus, Antisemitismus, Rassismus – all das hat keinen Platz bei uns, keinen Platz bei der Polizei, nicht einmal der leiseste Hauch davon! Verfehlungen sollen und dürfen eben nicht unter den Teppich gekehrt, als vermeintlich dummer Spruch abgetan werden. Seit Aufkommen der Vorwürfe ist viel passiert. Strukturen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung wurden ganzheitlich überprüft und aufgearbeitet. Die Linie war und ist immer klar: Wir wollen, dass das nicht passiert. Wir wollen, dass jeder einzelne Fall zu Tage tritt. Wir wollen bestmögliche Strukturen im Umgang damit schaffen“, so Minister Thomas Strobl und ergänzte: „Wir haben immer gesagt: Wir schließen Lücken dort, wo wir welche identifizieren. Mit der Vertrauensanwältin schließen wir eine Lücke und komplettieren die Anlaufstellen, die es bei der Polizei und darüber hinaus (etwa auch mit der Bürgerbeauftragten) bereits gibt“, so Minister Thomas Strobl.
Der Prozess zur Einrichtung einer externen unabhängigen Vertrauensanwältin ist in vollem Gange und fast abgeschlossen. „Wir sind zuversichtlich, dass die Vertrauensanwältin ihre Arbeit nach der Sommerpause aufnimmt“, betonte Minister Thomas Strobl. Die Vertrauensanwältin soll Betroffenen in einer solchen Situation die notwendige juristische Beratung zuteilwerden lassen und sie begleiten.
„Darüber hinaus wollen wir die kürzlich für das Innenministerium in Kraft gesetzte Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung auch für die Polizei landesweit einheitlich ausrollen“, erklärte Innenminister Thomas Strobl. Der Prozess ist in vollem Gange, die Personalvertretungen der Polizei werden dabei eng einbezogen. Die Dienstvereinbarung orientiert sich speziell an den Bedürfnissen der Dienststellen der Polizei in der Fläche.
„Es ist schon viel passiert und getan worden. Wir setzen gerade noch einmal wichtige und weitreichende Maßnahmen um. Klar ist freilich: Das ist ein dauerhafter Prozess, wir werden uns hier immer wieder aufs Neue hinterfragen, überprüfen und wo notwendig fortentwickeln“, sagte Innenminister Thomas Strobl abschließend.
Bisherige Maßnahmen
Bisherige Maßnahmen im Bereich der Führungs- und Wertekultur, unter anderem:
- über 100 Einzelmaßnahmen zur Stärkung der demokratischen Resilienz und Weiterentwicklung der Führungs- und Wertekultur auf den Weg gebracht,
- die Mitarbeiterbefragung der Polizei BW als anonymes und umfassendes Feedbackinstrument weiterentwickelt und Aktionswochen Feedback- & Fehlerkultur“ durchgeführt und
- eine neue – vollständig überarbeitete – Ausbildung für den mittleren Polizeivollzugsdienst eingeführt und sind dabei, dasselbe für den gehobenen Dienst zu tun.
Bisherige Maßnahmen zum Schutz gegen sexuelle Belästigung, unter anderem:
- Meldewege und -verpflichtungen überprüft und angepasst,
- eine Dienstvereinbarung „Schutz vor sexueller Belästigung“ erarbeitet und diese mit dem Örtlichen Personalrat abgestimmt sowie
- anonymisierte Abfragen durchgeführt, um einen Überblick über Verdachtsfälle im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen innerhalb der Polizei Baden-Württemberg zu erhalten.
Jörg Krauss
- September 1976: Einstellung bei der Bereitschaftspolizei in Biberach/Riss
- 1978 bis 1979: Polizeidirektion Reutlingen, Streifendienst und Verkehrsdienst
- 1980 bis 1984: Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Ermittlungsbeamter, Kriminalitätsanalyse
- 1987 bis 1989: Studium an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen
- 1989 bis 1990: Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Leitung eines Ermittlungsdezernates; Mitglied in verschiedenen Ermittlungsgruppen und Sonderkommissionen
- 1990 bis 1992: Innenministerium Baden-Württemberg, Sachbearbeiter im Referat Kriminalitätsbekämpfung
- 1993 bis 1995: Studium an der Polizeiführungsakademie in Münster/Westfalen
- 1996: Stabsstelle des Landeskriminalamtes, Stellvertretender Leiter
- 1997 bis 1998: Landeskriminalamt, Leiter der Inspektion Kriminalitätsanalyse Extremismus/Terrorismus
- 1999: Hochschule für Polizei, Dozent im Fachgebiet Einsatzwissenschaften und Führungswissenschaften
- 2000: Akademie für Polizei Freiburg, Dozent im Bereich Führungstraining für die Führungskräfte der Polizei
- 2001 bis 2005: Innenministerium Baden-Württemberg, Referent im Bereich der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, Mitglied des Ausschusses gemäß Artikel 36 des EU-Vertrages für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union, Vertreter der Bundesländer, Durchführung von Heranführungsprojekten und Fortbildungskursen in den Beitrittskandidaten für die Europäische Union
- 2006 bis 2011: Vizepräsident des Landeskriminalamtes, Leiter der ständigen Tagung Kriminalitätsbekämpfung
- 2012 bis 2013: Polizeidirektion Tübingen, Leiter
- 2013 bis 2015: Staatsministerium Baden-Württemberg, Leiter des Referates Innenpolitik, Justiz und Recht, Angelegenheiten der Streitkräfte
- 2015 bis 2016: Regierungspräsidium Stuttgart, Regierungsvizepräsident
- 2016 bis 2023: Finanzministerium, Ministerialdirektor und Amtschef