Baden-Württemberg hat einer Stellungnahme des Bundesrats, mit der die Rehabilitierung und Entschädigung verfolgter Homosexueller begrüßt wird und über den Gesetzentwurf der Bundesregierung hinaus weitere Schritte gefordert werden, zur Mehrheit verholfen.
„Ich begrüße es, dass die nach dem menschenrechtswidrigen Paragraph 175 Verurteilten nun endlich rehabilitiert und entschädigt werden. Der Bundestag sollte aber prüfen, ob auch von Ermittlungen Betroffene in die Entschädigung einbezogen werden können. Denn nicht nur Verurteilungen, sondern bereits Ermittlungen wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen führten in der Vergangenheit nicht selten zum sozialen Tod. Der Paragraph schaffte damit auch jenseits der tatsächlichen Verurteilungen ein gesellschaftliches Klima der Angst und der Ächtung, von dem damals praktisch alle Schwulen betroffen waren“, sagte Sozial- und Integrationsminister Lucha im Vorfeld des Internationalen Tags gegen Homo- und Transphobie am 17. Mai in Stuttgart.
Einer entsprechenden Stellungnahme des Bundesrats, mit der die Rehabilitierung und Entschädigung begrüßt wird und über den Gesetzentwurf der Bundesregierung hinaus weitere Schritte gefordert werden, habe Baden-Württemberg am vergangenen Freitag in der Länderkammer zur Mehrheit verholfen.
Er sei zudem skeptisch, so der Minister weiter, ob die im Gesetzentwurf vorgesehenen Entschädigungssummen von 3.000 Euro plus 1.500 Euro pro Haftjahr angemessen seien, oder ob diese nicht ausgeweitet werden müssten. Im Bundesrat habe Baden-Württemberg deshalb ebenfalls dafür gestimmt, eine Erhöhung der Entschädigung zu prüfen.
Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen – Online-Projekt mit Zeitzeugen
Lucha betonte, dass die Aufarbeitung der Unrechtsgeschichte mit der strafrechtlichen Rehabilitierung noch nicht abgeschlossen sei. Auch seien Homo- und Transphobie nach wie vor gesellschaftliche Realität. „In einer modernen Gesellschaft und in einer starken Demokratie, die sich an alle wendet und alle einbezieht, ist für Diskriminierung kein Platz. Dagegen müssen wir weiter gemeinsam vorgehen.“ Baden-Württemberg sei dabei unter anderem mit dem Aktionsplan „Für Akzeptanz & gleiche Rechte“ und der Erforschung der Geschichte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren (LSBTTIQ) Menschen auf einem guten Weg.
In der Sitzung des Landesbeirats für den Aktionsplan, die ebenfalls am 17. Mai stattfindet, wird diesmal ein Zeitzeuge aus seinem Leben als homosexueller Mann in Zeiten des „Schwulenparagraphen“ 175 berichten. Die polizeilichen Ermittlungen gegen ihn und die Verurteilung wegen „Unzucht mit Männern“ im Jahr 1962 wirken sich bis heute auf sein Leben aus. Der Zeitzeuge ist einer von fünf, die der Geschichte auf dem aus Landesmitteln geförderten Internetportal „LSBTTIQ in Baden und Württemberg – Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland“ ein Gesicht geben.
Weitere Informationen
Der Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie wird seit 2005 jährlich am 17. Mai begangen. Der Aktionstag erinnert an den 17. Mai 1990: An diesem Tag beschloss die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel für Krankheiten und gesundheitliche Probleme zu streichen.