Interview

„Die Aufmerksamkeit auf den Südwesten und seine Potenziale lenken“

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Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Interviewgespräch (Foto: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg)

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hat einen neuen Start-up Think Tank Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Mit dem international engagierten Investor Alec Rauschenbusch aus Stuttgart, einem der Berater, spricht sie über Defizite bei der Strahlkraft des Landes.

Ideenwerk BW: Frau Hoffmeister-Kraut, Herr Rauschenbusch, eine beim Digitalgipfel des Landes vorgelegte Studie sieht den Südwesten in Deutschland bei der Digitalisierung vorn. Ist das die Messlatte?

Nicole Hoffmeister-Kraut: Der Vergleich mit Deutschland ist für uns schon wichtig. Unsere letzte Messlatte ist das aber nicht. Mein Anspruch ist, dass wir weltweit wahrgenommen werden. Wir müssen aber auch die ganz spezifische Struktur berücksichtigen, die wir in Baden-Württemberg haben. Wie man es dreht, eines ist klar: Wir haben bei der Digitalisierung und im Start-up-Bereich in der Tat noch Nachholbedarf.

Alec Rauschenbusch: Es gibt nur eine Benchmark: Das sind die Besten. Und das ist für mich das Silicon Valley oder Israel. Die sind mit Abstand die führenden Regionen – und an denen muss man sich orientieren.

Hoffmeister-Kraut: Der Gipfel war erst einmal darauf angelegt, Innovationen in Baden-Württemberg voranzubringen. Da ist die Gründerkultur nur ein Teil davon. Wir brauchen auch Kristallisationspunkte in den Regionen. Wenn wir auf die Digitalisierung weltweit blicken, kommen natürlich Länder wie Südkorea in den Blick, die auch bei der Infrastruktur ein ganz anderes Niveau haben.

Aber müsste das Land sich nicht größere Ziele setzen?

Rauschenbusch: Wenn wir Baden-Württemberg voranbringen wollen, müssen wir Leuchttürme schaffen.

Und wo wären die?

Rauschenbusch: In den vergangenen Jahren haben sich Start-ups auf den Konsumbereich gestürzt. Da waren Orte wie Berlin angesagt. Aber nun geht es um die Digitalisierung der Industrie, Künstliche Intelligenz, Robotik. Und hier haben wir in Baden-Württemberg die Chance, dass entsprechende Cluster – also vernetzte Branchenschwerpunkte – entstehen. Wir müssen auf die großen Themen schauen und dürfen uns nicht mit vielen kleinen Startups zufriedengeben. Es gibt eine Schwachstelle: Zu wenig Kapital. Wir müssen auch von außerhalb Geld nach Baden-Württemberg holen. Und um das anzuziehen, braucht es einige weithin sichtbare Erfolge.

Hoffmeister-Kraut: Natürlich würde ich mir sozusagen ein europäisches Google wünschen. Und wenn sie sehen, dass jetzt schon von unseren Mittelständlern Produkte über die Business-Plattform von Amazon vertrieben werden, gibt das einem zu denken. Aber im industriellen Bereich können wir uns hier in Baden-Württemberg von den großen Softwaregiganten abheben. Wir haben den großen Vorteil, dass wir die digitale Revolution von den Produkten und realen Anwendungen, nicht nur von Bits und Bytes her denken können. Wir brauchen aber auch neue, große Erfolgsgeschichten im Dienstleistungsbereich. Es geht beispielsweise nicht nur um die Zukunft des Autos, sondern um die Zukunft der Mobilität.

Wie attraktiv ist Baden-Württemberg für internationales Risikokapital?

Rauschenbusch: Beim Thema Sichtbarkeit für internationale Investoren vergebe ich eine fünf oder sechs.

Hoffmeister-Kraut: Meinen Sie das als Schulnote?

Rauschenbusch: Leider als Schulnote. Ich bin oft in den USA. Baden-Württemberg kennt kein Mensch. Dabei sind wir die innovativste Region Europas. Wir haben aber bisher nicht die großen, weithin sichtbaren Start-up-Erfolge. Dabei haben wir dafür in bestimmten Bereichen absolut das Potenzial, etwa in der Medizin- und Biotechnologie. Das ist ein Riesenmarkt. Wenn wir da mal große Erfolgsgeschichten haben, spricht sich das weltweit in der Investorenszene schnell herum.

Hoffmeister-Kraut: Mit dem neuen Start-up Think Tank suchen wir auch nach Wegen, die Aufmerksamkeit auf den Südwesten und seine Potenziale zu lenken. Wir wollen außerhalb der gewohnten Bahnen denken. Als ich in Israel war, habe ich gemerkt: Dort kennt man vielleicht Berlin. Kein Mensch denkt an Stuttgart. Der Think Tank ist eine logische Weiterentwicklung all der Aktivitäten, die wir angestoßen und teils auch schon umgesetzt haben. Wir wollen unterschiedliche Perspektiven, auch aus der Start-up-Szene. Wo stehen wir? Was war erfolgreich. was nicht? Ich möchte im Start-up Think Tank die Start-up-Marke Baden-Württemberg mit Experten weiterentwickeln.

Und warum ist beim Start-up Think Tank kein Israeli oder Amerikaner dabei?

Hoffmeister-Kraut: Viele Mitglieder haben internationale Erfahrung. Die Vertreterin eines Unternehmens aus dem Land lebt zum Beispiel im Silicon Valley. Auch ein Investor aus Berlin ist dabei. Selbstverständlich suchen wir Impulse von außen.

Rauschenbusch: Wir haben ja gerade erst angefangen. Wir sollten gezielt Investoren ansprechen. Die wenigsten Leute auf der Welt wissen, was wir hier für eine Substanz haben. Wir sind bei den Megathemen der nächsten 15 Jahre vorne. Investoren suchen genau nach solchen Themen, weil der Konsumbereich schon etwas ausgelutscht ist. Wer einmal hier ist, der weiß das hiesige Umfeld zu schätzen.

Und wie kann man international mehr Strahlkraft entwickeln?

Rauschenbusch: Sie müssen ganz gezielt Unternehmen und Start-ups hierherholen. Wir von Grazia Equity haben gerade ein israelisches Start-up ins Land gebracht. Das wurde jetzt in Stuttgart gegründet, weil wir es überzeugen konnten, dass sie hier mit vielen potenziellen Kunden wie die Made im Speck sitzen werden. Wir sind schließlich die Fertigungsmetropole der Welt. Das ist ein Pfund, mit dem man erfolgreich werben kann.

Hoffmeister-Kraut: Wir wollen unsere internationale Standortwerbung rund um Start-ups intensivieren. Da muss übrigens keiner „Baden-Württemberg“ buchstabieren. Wir präsentieren uns bei den entsprechenden Events als „Southwest Germany“.

Ist das Land cool genug?

Hoffmeister-Kraut: Ich hätte es manchmal schon gerne etwas cooler. Wir können Berlin aber nicht einfach kopieren. Wenn es um die Kommunikation geht, ist der Schwabe schon etwas anders.

Rauschenbusch: Da muss man differenzieren. Wir können uns nicht einfach zum Internet-Mekka erklären. Unsere Themen in Baden-Württemberg sind anspruchsvoller. Ich brauche Top-Informatiker, Top-Neurobiologen. Für die zählt ihr Job. Die finden Städte wie Heidelberg und Tübingen wunderbar. Da haben wir bessere Chancen als im Internet-Konsumbereich. Allerdings leben Firmen nicht nur von den Technikern, sondern auch vom Vertrieb und den Kaufleuten. Und bei denen muss man mit anderen Qualitäten punkten. Und da fehlt meiner Meinung nach Städten wie Stuttgart eine Vision mit Strahlkraft. Da gibt es keine Aufbruchstimmung.

Hoffmeister-Kraut: Aber das sind doch manchmal Vorurteile.

Rauschenbusch: Das ist das Image.

Und ist man trotz aller wirtschaftlichen Stärke in Baden-Württemberg selbstkritisch genug?

Hoffmeister-Kraut: Ich sehe vieles sehr kritisch – etwa welche Prioritäten wir für die Zukunft bisher setzen. Wir müssen mit der Welt mithalten. Dazu müssen wir einerseits unsere Stärken stärken. Unsere Industrie ist breit über viele Branchen hinweg aufgestellt, etwa in der Mobilität oder im Maschinen- und Anlagenbau. Aber andererseits müssen wir unsere technologischen Kompetenzen in den unterschiedlichsten Zukunftsfeldern noch viel konsequenter digital weiterdenken und daraus neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wenn wir erfolgreich bleiben wollen, müssen wir uns ein Stück weit neu erfinden. Das kann durchaus auch schmerzhaft sein.

Welche Zukunftsvision haben sie für Baden-Württemberg?

Hoffmeister-Kraut: Wir sind bereits gut in bestimmten Bereichen wie der Mobilität und aus den großen Firmen heraus. Aber wir brauchen Innovationen darüber hinaus, wenn wir mit dem Rest der Welt konkurrieren wollen. Wir brauchen mehr Gründer. Wir brauchen mehr Start-ups, die zu uns ins Land kommen. Wir brauchen eine Kultur, wo Scheitern kein Makel ist. Und vor allem brauchen wir mehr Denken über Grenzen hinaus. Übrigens auch über die Ressortgrenzen einer Landesregierung hinweg.

Rauschenbusch: Wir müssen erfolgreiche Unternehmer in die Schulen bringen. Unsere jungen Leute müssen mit zwölf bis vierzehn Jahren davon träumen, dass sie einmal zum Gründer werden. Wir sollten in fünf Jahren international als Gründerstandort bekannt sein. Und vor allem brauchen wir echte Champions. Die können auch von außen gekommen sein und sich hier angesiedelt haben. Das spielt keine Rolle. In zehn Jahren sollten wir mindestens drei neue Unternehmen mit Milliardenwert geschaffen haben.

Die Ministerin, der Investor und der Start-up Think Tank

Nicole Hoffmeister-Kraut – Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin, Jahrgang 1973, studierte Betriebswirtschaft in Tübingen und promovierte an der Universität Würzburg. Ökonomische Erfahrung sammelte sie als Gesellschafterin und Aufsichtsrätin des Balinger Waagenherstellers Bizerba. Außerdem war sie unter anderem Analystin in London und Frankfurt. Seit 2009 ist sie Mitglied der CDU. Ihr heutiges Amt hat sie seit 2016 inne.

Alec Rauschenbusch – Der 53-jährige ist der Gründer und Geschäftsführer der Stuttgarter Risikokapitalgebers Grazia Equity. Er studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München. Nach dem Abschluss an der Harvard Business School war er für ABB und Behr tätig. Grazia Equity hat etwa in den Solaranbieter Conergy, den Brillenhändler Mister Spex oder das Statistikportal Statista investiert.

Start-up Think Tank– Der neue„Think Tank Start-up BW“ hat Anfang Februar die Arbeit aufgenommen. Er hat 13 Mitglieder aus den Bereichen Start-up, Industrie und Finanzen. Der Start-up Think Tank Baden-Württemberg soll sich halbjährlich treffen und die Start-up-Strategie des Landes schlagkräftiger machen.

Das Interview ist am 11. Februar 2018 auf IdeenwerkBW.de erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.

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