Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht Sozialminister Manne Lucha über die Konsequenzen aus dem schrecklichen Missbrauchsfall in Staufen. Es brauche eine systematische Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Schulsozialarbeit, Jugendhilfe und Verbänden, so Lucha.
dpa: Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat die Landesregierung zu einer umfassenden Aufarbeitung der Vorgänge in Staufen aufgefordert. Da schwingt der Vorwurf mit, es geschehe noch nicht genug. Was sagen Sie dazu?
Manne Lucha: Wir haben Herrn Rörig zu uns eingeladen, um ihm unsere Aktivitäten zur Aufarbeitung zu schildern. Ich glaube, dass ein Bundesbeauftragter die Gesamtsituation in einem Bundesland gar nicht im Detail überblickt. Wir haben eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, in der wir aufarbeiten, warum die unterschiedlichen Instanzen dieses furchtbare Verbrechen nicht verhindern konnten. Die Arbeitsgruppe wird die Strukturen der Verfahren und Zuständigkeiten intensiv ausleuchten und dort, wo nötig, Korrekturen anregen, um die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Behörden und Gerichten zu optimieren. Inzwischen haben alle 46 Jugendämter im Land das Angebot erhalten, ihre Strukturen und Prozesse im Rahmen einer Evaluierung wissenschaftlich begutachten zu lassen. Die Beratung der ersten 23 Jugendämter beginnt nach der Sommerpause.
Was ist für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis aus den Vorgängen in Staufen?
Lucha: Ich fordere eine systematische Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Schulsozialarbeit, Jugendhilfe und Verbänden. Wer hat Hinweise auf einen möglichen Missbrauch, auf Gewalt und Vernachlässigung von Kindern? Wie lassen sich diese Hinweise verifizieren? Die Jugendhilfe ist eine weisungsfreie Pflichtaufgabe der Kommunen. Die Fachaufsicht haben die Familiengerichte. Die Rechtsaufsicht liegt beim Regierungspräsidium. Wir brauchen hier ein intensives Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure.
Muss man diese Strukturen grundsätzlich hinterfragen?
Lucha: Wir müssen neu definieren, was Fachaufsicht und was Rechtsaufsicht heißt. Wir müssen alle näher zusammenrücken. Ich gehe davon aus, dass jeder das Beste für ein Kind will. Aber wir brauchen mehr Transparenz der Handelnden. Man muss das Mehraugenprinzip noch viel offensiver praktizieren. Jeder muss von dem anderen wissen dürfen. Da werden wir möglicherweise auch datenschutzrechtlich nachsteuern müssen.
Innenminister Thomas Strobl fordert höhere Strafen für Kindesmissbrauch. Bringen die aus Ihrer Sicht etwas?
Lucha: Im Darknet im Internet bewegt sich eine für uns alle unfassbare Gruppe an Tätern. Ich weiß nicht, ob diese Menschen bei ihrem perfidem Handeln überhaupt an das Strafmaß denken, das ihnen droht. Wir haben die besten Gesetze der Welt, und dennoch werden wir nicht verhindern können, dass Menschen furchtbare Straftaten begehen. Wir müssen uns genauer vor Augen halten, was in Staufen passiert ist: Eine Mutter hat für ihr Kind gekämpft – aber nicht aus Fürsorge, sondern aus der kriminellen Energie heraus, ihr Kind an Sextäter verkaufen zu wollen. So etwas haben wir offensichtlich überhaupt nicht auf unserer Vorstellungs-DNA, das passt nicht in unser Familienbild. Insgesamt muss das gesellschaftliche Bewusstsein der Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen deutlich gestärkt werden. Alle müssen wachsam sein.
Könnte die von CDU-Innenpolitikern geforderte Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung helfen, Tätern im Darknet schneller auf die Schliche zu kommen?
Lucha: Die Polizei erzielt mit den ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln große Erfolge. Dazu, ob die Vorratsdatenspeicherung etwas bringen kann, ist sicher eine differenzierte Debatte nötig.
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dpa/lsw